Ifo-Institut: Starke Verluste bei Realeinkommen seit 2021

Ifo-Institut: Starke Verluste bei Realeinkommen seit 2021

10.11.2022
Für viele Haushalte in Deutschland sind die massiv gestiegenen Energiepreise seit Monaten ein derart großes Problem, dass Ausgaben für Gas, Strom und Öl für Menschen mit geringeren Einkommen sogar zu einer existenziellen Bedrohung werden. Die Hoffnung ruht auf den Plänen zur Gas- und Strompreisbremse. Zeitgleich zeigen aktuelle Auswertungen, dass die Mehrkosten in den Bundesländern in sehr unterschiedlicher Form ankommen. Das Vergleichsportal Verivox kommt in neuesten Berechnungen zu dem Ergebnis, dass etwa Kundinnen und Kunden in Stadtstaaten durchschnittlich weniger stark von den Entwicklungen des Marktes betroffen sind. Abseits der individuellen Probleme in den Haushalten mit regional abweichenden Preissteigerungen im Bereich von 43 Prozent im Bundesland Bremen und 92 Prozent in Sachsen-Anhalt auf Jahressicht ist die Energiekrise jedoch nicht nur ein Dilemma für Endkunden.

Anfang dieser Woche veröffentlicht das Münchener ifo-Institut neueste Zahlen zu den Auswirkungen auf die Realeinkommen in Deutschland. Die Folgen der hohen Energiepreise sind auch hier deutlich spürbar.

Minus von 110 Milliarden Euro bis 2024 erwartet

Die Analysten des renommierten Instituts kommen zu dem Ergebnis, die nach wie vor erkennbar steigende Teuerung hinterlasse deutliche Spuren bei den Realeinkommen. Timo Wollmershäuser, Konjunkturforscher beim Info-Institut, geht davon aus, dass sich die Lage in den kommenden Jahren nicht wesentlich zum Guten verändern dürfte. Auf sage und schreibe 110 Milliarden Euro beziffert die Experten den Verlust aufgrund der dramatisch höheren Energiepreise. Arbeitnehmer sollten einstweilen nicht mit allzu hohen Anpassungen der Einkommen im Rahmen kommender Tarifrunden und Gehaltsverhandlungen rechnen. Die Zahlen zum Rückgang der Realeinkommen aus der Studie sind im Zusammenhang der momentan laufenden Tarifverhandlungen in der Metallbranche und der Elektroindustrie zu sehen.

2022 bringt den größten Einbruch seit der zweiten Ölkrise

Wie stark sich der Krieg in der Ukraine und damit die nachfolgend schrittweise gestiegenen Energiepreise auswirken, wird bei der Aufschlüsselung der berechneten Verluste der Realeinkommen offensichtlich. Im Jahr 2021 hätten die Preisanstiege für den Import von Energie bereits ein Minus in Höhe von 35 Milliarden Euro ausgelöst. Im laufenden Jahr wird der Rückgang bei 64 Milliarden Euro. Die Prognose für das Jahr 2024 fällt angesichts der genannten Zahlen mit wahrscheinlich neun Milliarden Euro vergleichsweise optimistisch aus. Allerdings könnte eine Verschärfung des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine die Analysten durchaus eines Besseren belehren. Um den gesamten Realeinkommensverlust von 110 Milliarden Euro statistisch richtig einzuordnen: Der Rückgang von 2021 bis 2024 ist laut ifo-Institut unterm Strich der stärkste seit Ende der 1970er Jahre. Damals war es die zweite große Ölkrise, die Verbrauchern, der Industrie und letztlich auch der Staatskasse zugesetzt hatte.

Aktuelle Daten müssen Thema bei neuen Tarifrunden sein

Für die Wirtschaft werde die Entwicklung vor allem eines bedeuten. Gemäß den Ifo-Experten Timo Wollmershäuser und Wolfgang Nierhaus wird die Lage zur Folge haben, dass deutsche Firmen ihre Preise für den Export nicht in der Weise nach oben korrigieren können, wie parallel dazu die Preise im Importsektor zulegen. Bestätigt sich diese Erwartung, ist dies vor allem für Verbraucher am Ende der Versorgungskette in Deutschland eine schlechte Nachricht. Denn sie werden mit hoher Wahrscheinlichkeit für einen hohen Anteil der höheren Energieimportpreise aufkommen müssen. Ifo-Analyst Wollmershäuser betont im Rahmen der Veröffentlichung, die Verluste der Realeinkommen müssten zwingend in allen Debatten über die Verteilung der zusätzlichen Kosten eine zentrale Rolle spielen. Wichtig sei die Erkenntnis, dass derzeitige Rekordpreise für Dienstleistungen und Erzeugnisse „Made in Germany“ explizit nicht das Resultat eines ökonomischen Aufschwungs gewesen seien. Sie bilden vielmehr Kostenanstiege für Energie und Vorerzeugnisse beim Import über ausländische Anbieter ab.

Die logische, aber für Arbeitnehmer keineswegs erfreuliche Botschaft:

Das vermeintlich zur Verteilung verfügbare Einkommen, das in Gesprächen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden als Diskussionsgrundlage dient, müsse laut ifo-Institut um die berechneten Realeinkommensverluste angepasst werden. Der Erfolg neuer Rettungspakete von Bund und Ländern ist deshalb umso wichtiger. Denn wesentliche Steigerungen der Einkommen sind angesichts solch schlechter Berechnungen vorerst nicht zu erwarten.